Das salutogenetische Modell der Gesundheit nach Antonovsky – Zusammenfassung von Paul Wilkens

Im Modell der Salutogenese setzt Antonovsky eine Reihe von Einflussgrößen mit der Entstehung bzw. dem Erhalt von Gesundheit in Zusammenhang. Das Kernstück des Modells ist das sog. Kohärenzgefühl, das in der Folge erläutert wird.

Antonovsky ist sich im Klaren, dass belastende äußere Faktoren wie beispielsweise Nahrungsmangel oder schlechte hygienische Verhältnisse die Gesundheit gefährden. Dennoch gibt es auch unter gleichen äußeren Bedingungen Unterschiede im Gesundheitszustand verschiedener Menschen. Wenn also die äußeren Bedingungen vergleichbar sind, dann wird es von der Ausprägung der individuellen Grundeinstellung abhängen, wie gut Menschen in der Lage sind, vorhandene Ressourcen zum Erhalt ihrer Gesundheit und ihres Wohlbefindens zu nutzen. Antonovsky bezeichnet diese Grundhaltung als Kohärenzgefühl (sense of coherence, SOC). Kohärenz bedeutet Zusammenhang, Stimmigkeit. Je ausgeprägter das Kohärenzgefühl einer Person ist, desto gesünder sollte sie sein oder desto schneller sollte sie gesund werden und bleiben.

Die Ausprägung des Kohärenzgefühls beeinflusst die Erfahrungen, die jemand macht. Das führt dazu, dass die Erfahrungen in der Regel die persönlichen Grundhaltungen bestätigen und diese damit stabil und überdauernd sind.

Die Grundhaltung, die den individuellen SOC bestimmt, setzt sich gemäß Antonovsky aus drei Komponenten zusammen:

(1) Gefühl der Verstehbarkeit (sense of comprehensibility): Diese Komponente bezeichnet die Fähigkeit von Menschen, Erlebnisse als geordnete Erlebnisse verarbeiten zu können und nicht als chaotisch, willkürlich und zufällig wahrzunehmen (zB den Ablauf eines Gesprächs, die Bestellung in einem Restaurant etc.).

(2) Gefühl von Handhabbarkeit bzw. Bewältigbarkeit (sense of manageability): Hiermit ist die Überzeugung eines Menschen gemeint, dass Probleme lösbar sind. Antonovsky nennt dies auch instrumentelles Vertrauen. Die jeweilige Person erkennt nicht nur die eigenen Ressourcen und Kompetenzen – vielmehr besteht auch die Überzeugung, von anderen Menschen oder höheren Mächten Unterstützung zu erfahren.

(3) Gefühl von Sinnhaftigkeit und Bedeutsamkeit (sense of meaningfulness): Diese Dimension bezieht sich darauf, das Leben als sinnvoll zu empfinden. Antonovsky sieht diese Komponente als die wichtigste an. Ohne das Erleben von Sinn und ohne positive Erwartungen an das Leben ergibt sich trotz hoher Ausprägung der beiden anderen Komponenten kein hoher Wert des gesamten Kohärenzgefühls. Ein Mensch ohne Erleben von Sinnhaftigkeit wird das Leben in allen Bereichen nur als Last empfinden und jede weitere sich stellende Aufgabe als zusätzliche Qual.

Ein hoch ausgeprägtes Kohärenzgefühl führt dazu, dass ein Mensch flexibel auf Anforderungen reagieren kann. Er aktiviert die für diese spezifische Situation angemessenen Ressourcen. Ein Mensch mit gering ausgeprägtem Kohärenzgefühl wird hingegen Anforderungen eher starr und rigide beantworten, da er über weniger Ressourcen zur Bewältigung verfügt.

Für die Entwicklung eines starken Kohärenzgefühls ist ein ausgewogenes Verhältnis von Vorhersehbarkeit und Überraschung, von belohnenden und frustrierenden Ereignissen erforderlich. Eine grundlegende Veränderung des SOC im Erwachsenenalter hält Antonovsky nur für begrenzt möglich. Lediglich radikale Veränderungen der sozialen und kulturellen Einflüsse und Lebensbedingungen können zu deutlichen Veränderungen  des Kohärenzgefühls führen. Hierzu zählen beispielsweise Wohnortwechsel, Veränderungen des Familienstandes oder ein Arbeitsplatzwechsel, wodurch die bisherigen Ressourcen und Handlungsmöglichkeiten massiv verändert werden.

Der Gesundheitsbegriff bei Antonovsky

Antonovsky kritisiert die übliche Trennung in gesund und krank. Er setzt dieser Trennung die Vorstellung eines Kontinuums mit den Polen Gesundheit/körperliches Wohlbefinden und Krankheit/körperliches Missempfindung gegenüber. Die beiden Pole völlige Gesundheit oder völlige Krankheit sind für lebende Organismen nicht zu erreichen.

Stressoren und Spannungszustand

Stressoren sind all jene Reize, die Stress erzeugen. Ob ein Reiz ein Stressor ist, lässt sich allerdings verlässlich immer erst an dessen Wirkung erkennen und nicht vorhersagen. Eine Person mit hohem SOC wird manche Reize als neutral bewerten, die jemand mit niedrigem SOC als spannungserzeugend erleben würde. Zudem geht Antonovsky davon aus, dass Menschen mit einem hohen SOC auf bedrohliche Situationen eher mit situationsangemessenen und zielgerichteten Gefühlen reagieren, die sich durch Handlungen beeinflussen lassen. Personen mit niedrigem SOC reagieren dagegen eher mit diffusen, schwer zu regulierenden Emotionen (z.B. „blinde Wut“). Sie werden handlungsunfähig, da ihnen das Vertrauen auf die Bewältigbarkeit des Problems fehlt.

Generalisierte Widerstandsressourcen

Mit generalisierten Widerstandsressourcen meint Antonovsky verschiedene Faktoren, die eine erfolgreiche Spannungsbewältigung erleichtern. „Generalisiert“ bedeutet, dass sie in Situationen aller Art wirksam werden. Als Beispiele für generalisierte Widerstandsressourcen nennt Antonovsky körperliche Faktoren, gute Intelligenz, Unterstützung durch andere Menschen, finanzielle Möglichkeiten etc.

Um die individuell unterschiedlichen Reaktionsweisen auf Reize zu erklären, bezeichnet Antonovsky Stressoren als generalisierte Widerstandsdefizite. Während nun Widerstandsressourcen die Möglichkeit geben, das Kohärenzgefühl zu stärken, bewirken Widerstandsdefizite eine Schwächung desselben.

Empirische Studien zum Kohärenzgefühl

Antonovsky hat 1979 sein Konzept des Kohärenzgefühls in seinem Buch „Health, stress and coping“ vorgelegt. Der Begriff „Salutogenese“ hat in vielen Bereichen der Gesundheitswissenschaften Einzug gehalten und ist geradezu zu einem Modewort geworden. Allerdings wurden kaum Studien zum Salutogenese-Konzept angestrengt. Es besteht also ein gewisser praktischer und auch begrüßenswerter Einfluss hin auf mehr Gesundheitsbewußtsein durch Antonovskys Arbeit.

Jedoch liegt offenbar ein enger statistischer Zusammenhang zwischen dem SOC sowie Ängstlichkeit und Depressivität bei Versuchspersonen vor. Somit stellt sich die Frage, ob die Messung des SOC (mittels Fragebogen) nicht dieselben Ergebnisse liefert wie andere gängige Instrumente zur Erfassung von Ängstlichkeit und Depressivität.

Grundsätzliche Salutogenese-Schritte (nach Braun-von Gladiß)

Der Alltag ist voller Möglichkeiten, Geschehnisse als Übungsfelder zu sehen und dann dafür zu nutzen, gesundheitliche Stabilität zu trainieren. Die wichtigsten Punkte werden im folgenden aufgelistet:

  • Lernen am Problem: das hinter den Problemen Stehende, sich in ihnen Manifestierende, reflektieren
  • dies ersetzt sowohl Ohnmacht durch Erkenntnis als auch Angst durch Mut zum Handeln
  • Gesprächskultur entwickeln; Tabus überwinden
  • ein neues Gespräch beginnen
  • soziales Engagement in Vereinen/Vereinigungen entwickeln
  • (eigenes) Verbraucherverhalten kritisieren/korrigieren
  • Flexibilität üben
  • körperliche Regulationen (Fieber etc.) akzeptieren
  • Impfungen meiden
  • Meditieren und Beten
  • Achtsamkeit pflegen
  • Kontakt zur Natur erweitern
  • Sport und Körperbewegung
  • Körperhaltung verbessern
  • eigene Entscheidungen treffen
  • Lebensverwirklichung realisieren statt aufschieben
  • Hobbys aktivieren
  • Reduktion externer Belastungen (chemische, elektromagnetische und Schwermetalle)
  • gesunde Ernährung
  • Körperpflege beachten
  • Zärtlichkeit und Sexualität entfalten
  • Ausdrucksformen pflegen: Singen, Musizieren, Malen, Tanzen, Pantomime, Rollenspiel o.ä.
  • Sinn des Lebens definieren
  • religiöse Einstellungen überprüfen