Erfahrungen des Glücks und der Zufriedenheit wurden von dem ungarisch-italienisch-amerikanischen Psychologen Csikszentmihalyi systematisch untersucht. Zur Messung dieser Erlebnisqualitäten entwickelte er die Methode ESM (experience sampling method), ein Verfahren zum Registrieren von Erlebnissen. Hierbei tragen Personen ein elektronisches Gerät, das in bestimmten Intervallen summt. Dieses Summen dient als Aufforderung für die Probanden aufzuschreiben, was sie denken und wie sie sich fühlen. Am Ende des Aufzeichnungszeitraums liefern die Probanden ihre Aufzeichnungen ab, die sodann ausgewertet werden.
Mit seinen Darlegungen in „Flow. Das Geheimnis des Glücks“ (2002) will der Autor allerdings keinen Lebensratgeber anbieten. Es wird vielmehr darauf hingewiesen, dass Bücher keine Rezepte vermitteln können, wie man glücklich wird. Optimale Erfahrungen hängen von der individuellen Fähigkeit ab zu steuern, was sich im Bewusstsein abspielt. Vielmehr geht es bei den Überlegungen darum, Beispiele für erfreuliche, beglückende Erfahrungen vorzustellen.
In seinem Werk untersucht Csikszentmihalyi, wie man Glückserleben durch die Kontrolle über das eigene Innenleben erreichen kann. Beim optimalen Zustand innerer Erfahrung herrscht Ordnung im Bewusstsein. Diese tritt ein, wenn man die Aufmerksamkeit auf Ziele richtet, die den eigenen Fähigkeiten und Handlungsmöglichkeiten entsprechen. Die Phasen des Ringens um die Bewältigung einer Herausforderung werden häufig als die erfreulichsten Momente des Lebens betrachtet.
Als optimales Erleben oder flow beschreiben Menschen ihren seelischen Zustand in Augenblicken, in denen sie etwas um der Sache selbst willen tun. Solche Zustände stellen sich etwa bei Sport, Spiel, Kunstgenuss oder der Ausübung eines Hobbys ein.
Die meisten Menschen verbringen einen Großteil ihres Lebens mit Arbeit und in Interaktion mit anderen, besonders mit Familienangehörigen. Aus diesem Grund ist es ein sehr attraktives Ziel, Arbeit in eine flow-erzeugende Aktivität zu verwandeln und Beziehungen mit Eltern, Partnern, Kindern und Freunden als erfreuliche Erlebnisse zu gestalten.
Schließlich wendet sich Csikszentmihalyi der Frage zu, wie es Menschen gelingen kann, ihre Erfahrungen sinnvoll zu verknüpfen, also Sinn zu erleben.
Die Wurzeln der Unzufriedenheit
Wie wir uns fühlen und ob wir Freude empfinden, hängt in hohem Maße davon ab, wie wir unsere Erlebnisse und Erfahrungen kognitiv verarbeiten. Ob wir glücklich sind, hängt von innerer Harmonie ab – und zwar viel eher als von unserer Einflussnahme auf die äußere Welt. Natürlich sollten wir trachten, die Umwelt zu erforschen und zu beherrschen, weil beispielsweise unser Überleben von den medizinischen Erkenntnissen abhängt. Dennoch machen wir immer wieder die Erfahrung, dass diese Erkenntnisse nicht dauerhaft die Qualität unseres Lebensgefühls günstig beeinflussen. Wir sind beispielsweise im gesunden Zustand nicht zwangsläufig glücklich. Um Glück und Zufriedenheit zu erreichen, müssen wir lernen, unser Bewusstsein zu beherrschen.
Schutzschilde der Kultur
Im Laufe des Lebens – angefangen von der hoffnungsfrohen Jugendzeit bis zum Erwachsenenalter mit seinen ernüchternden Erkenntnissen – stellen sich die meisten früher oder später die Frage: „Ist das alles?“ Irgendwann spürt man erste Anzeichen eines körperlichen oder geistigen Niedergangs. Csikszentmihalyi vergleicht die Situation folgendermaßen: „Wie Kellner in einem Restaurant, die schon die Frühstückstische decken, während man noch beim Abendessen sitzt, erinnern einen diese Hinweise auf die Sterblichkeit daran: Deine Zeit ist um; es ist Zeit weiterzugehen“.
Wenn wir ehrlich zu uns selber sind, wird deutlich, dass Geld, Macht, Status und Besitztümer nicht notwendigerweise die Lebensqualität verbessern. Das zentrale Problem stellt nämlich die Vergänglichkeit dar, der wir uns nicht entziehen können. Dieses Problem der Existenz wurde üblicher Weise am direktesten durch die Religion aufgeworfen.
Der Autor weist darauf hin, dass aktuell unsere Gesellschaft allerdings an einer Vielzahl von Übeln leidet. Die Profite aufgrund von Drogenkonsum werden immer größer und die Änderungen im Umgang mit Sexualität haben in den letzten Jahrzehnten zu einer Auflösung von Beziehungen und Bindungen geführt. Trotz großer materieller Weiterentwicklung ist die Gesellschaft bei der Bewältigung des täglichen Lebens nicht wirklich weiter gekommen.
Die Neubesinnung auf die Erfahrung
Wenn Werte und Institutionen keinen stützenden Rahmen mehr darstellen wie früher, muss man Anstrengungen unternehmen, um dem Leben selbst Sinn und Erfüllung zu verleihen. Die Psychologie kann hierbei wichtige Hilfen geben. Bislang war der Hauptbeitrag der Psychologie, den Zusammenhang zwischen frühen Erfahrungen und aktuellem Verhalten zu beschreiben und zu erklären. Doch der Beitrag dieser Wissenschaft kann ein weiterer sein, nämlich die Unterstützung bei der erfolgreichen und befriedigenden Gestaltung der Zukunft, aller persönlicher Einschränkungen und Defizite zum Trotz.
Um die Ängste und Depressionen des heutigen Lebens zu überwinden, muss der einzelne Mensch lernen, sich bis zu einem gewissen Grade von der gesellschaftlichen Umwelt mit ihren „Belohnungen“ und „Bestrafungen“ unabhängig zu machen. Der Mensch muss auch „gegen den Strom“ schwimmen können und nicht nur im Einklang sein mit dem „mainstream“. Um eine solche Autonomie zu erreichen, muss man lernen, sich selbst Belohnungen zu geben. Man muss die Fähigkeit entwickeln, Freude und Sinn unabhängig von äußeren Umständen zu finden.
Dieses Bestreben steht in gewisser Weise im Gegensatz zur Sozialisation, die darauf abzielt, den Menschen von sozialer Kontrolle abhängig zu machen, so dass er vorhersehbar auf Belohnungen und Strafen reagiert. Die wirksamste Form der Sozialisation wird erreicht, wenn die Menschen sich so stark mit der gesellschaftlichen Ordnung identifizieren, dass sie sich nicht länger vorstellen können, Regeln zu brechen. In unserer Gesellschaft etwa wird das vermeintlich „gute Leben“ durch die Befriedigung von Sehnsüchten, die uns genetisch einprogrammiert sind, vorgegeben – und zwar als Belohnung für jahrelange harte Arbeit.
Praktisch jeder Trieb, der Teil der menschlichen Natur ist, von der Sexualität bis zur Aggression, von der Sehnsucht nach Sicherheit bis zur Empfänglichkeit für Veränderungen, wurde von Politikern, Kirchen, Firmen und Werbeagenturen als Möglichkeit für soziale Kontrolle ausgenutzt. Wenn jemand zum Beispiel dem Essen oder dem Alkohol nicht widerstehen kann oder er sich in Gedanken ständig mit Sex beschäftigt, ist er nicht frei, seine psychische Energie gezielt einzusetzen. Man muss insbesondere über die eigenen instinktiven Triebe Kontrolle erlangen, um eine gesunde Unabhängigkeit von der Gesellschaft zu gewinnen. Solange wir berechenbar auf das reagieren, was sich gut oder schlecht anfühlt, ist es für andere leicht, diese Vorlieben zu eigenen Zwecken auszunutzen, um uns zu manipulieren.
Ein zu stark sozialisierter und angepasster Mensch strebt nur diejenige Art von Belohnungen an, die ihm andere Menschen in seiner Umgebung übereinstimmend zubilligen. Er begegnet vielleicht vielen potenziell erfüllenden Erfahrungen, bemerkt sie aber nicht, weil sie nicht zu den Dingen gehören, nach denen er sich zu sehnen gelernt hat.
Es besteht kein Zweifel, dass es notwendig ist, für äußere Ziele zu arbeiten und unmittelbare Belohnungen aufzuschieben, um zu überleben. Aber man braucht sich deshalb nicht in eine Marionette verwandeln zu lassen, die von sozialen Kontrollen geleitet wird. Die Lösung besteht darin, allmählich von den gesellschaftlichen Verstärkern unabhängig zu werden und zu lernen, wie man diese durch Belohnungen ersetzt, die man selbst in der Hand hat. Das bedeutet nicht, jedes Ziel aufzugeben, das die Gesellschaft bietet, sondern eher, eine Reihe eigener Ziele zusätzlich oder anstelle derjenigen zu entwickeln, mit denen andere versuchen, uns zu bestechen.
Wer sich noch nicht vorstellen kann, was mit gesellschaftlicher Kontrolle und Belohnung gemeint ist, der führe sich nur den Anpassungsdruck in einer Gruppe, sei es am Arbeitsplatz oder im Sportverein vor Augen, wenn man sich anders äußert als die Mehrheit oder eine Gruppenaktivität aus Desinteresse ablehnt.
Der wichtigste Schritt bei der Befreiung von sozialen Kontrollen ist die Fähigkeit, Belohnungen in den Ereignissen des Augenblicks zu finden. Wenn man lernt, in dem fortlaufenden Strom von Erfahrungen, im Prozess des Lebens selbst Freude und Sinn zu finden, fällt einem die Last der sozialen Kontrolle automatisch von den Schultern. Der Autor betont, dass wir uns nicht durch die Hingabe an instinktive Sehnsüchte von sozialen Kontrollen befreien. Vielmehr müssten wir vom Diktat körperlicher Bedürfnisse frei werden und lernen, die Inhalte unseres Bewusstseins zu steuern. Schmerz und Lust finden im Bewusstsein statt und existieren ausschließlich dort. Solange wir den gesellschaftlich konditionierten Reiz-Reaktionsmustern gehorchen, die uns biologisch innewohnen, können wir leicht von außen kontrolliert werden. Wir sind nicht frei, den Inhalt unserer Erfahrungen zu bestimmen, wenn uns eine glänzende Werbeanzeige das Wasser im Munde nach dem angepriesenen Produkt zusammenlaufen lässt oder ein Stirnrunzeln des Chefs uns den Tag verdirbt.
Wege der Befreiung
Die einfache Wahrheit, dass die Kontrolle des Bewusstseins die Lebensqualität bestimmt, ist schon lange bekannt. Christliche Mönchsorden entwickelten die verschiedensten Methoden, wie man lernt, Gedanken und Wünsche zu lenken. Ignatius von Loyola, der Gründer des Jesuitenordens, perfektionierte dies mit seinen berühmten geistlichen Übungen. Der letzte große Versuch, das Bewusstsein von der Herrschaft der Impulse und sozialer Kontrolle zu befreien, war die Psychoanalyse. Freud beschrieb die beiden Tyrannen, die um die Kontrolle des Bewusstseins ringen, Es und Überich – ersteres Diener der biologisch determinierten Anlagen, letzteres ein Lakai der Gesellschaft. Ihnen gegenüber steht das Ich, welches die echten Bedürfnisse des Selbst in Verbindung mit seiner konkreten Umwelt darstellt.
Von entscheidender Bedeutung ist der Hinweis, dass Kontrolle über das Bewusstsein keine bloß kognitive Fähigkeit ist. Außer dem Einsatz von Intelligenz bedarf es dazu mindestens ebenso sehr der Emotionen und des Willens. Es reicht nicht zu wissen, wie man etwas tut. Man muss es tun und üben, und zwar immer wieder, genau wie Sportler und Musiker immer wieder üben müssen, um ihre Fertigkeiten zu verbessern.
Die Kontrolle über das Bewusstsein kann nicht institutionalisiert werden. Sobald sie zum Bestandteil gesellschaftlicher Regeln und Normen wird, ist sie nicht mehr so wirksam, wie sie ursprünglich sein konnte. Die Routine setzt leider sehr rasch ein. In jeder neuen Epoche, vielleicht in jeder Generation oder vielleicht sogar alle paar Jahre wird es notwendig zu formulieren, was dem Menschen hilft, authentische Ziele zu verfolgen.
Quellen von flow
Der Körper im flow-Zustand
Den Körper als Quelle zur Verbesserung der Lebensqualität zu nutzen, ist grundsätzlich jedem möglich. Das kann in Form von Sport, Tanz, Sex, Verfeinerung der Sinne etc. sein. Im Sport etwa setzt man sich Ziele im Wettkampf, um flow zu erleben und um die Grenzen der eigenen Leistungsfähigkeit zu erweitern. Sport und Fitness sind nicht die einzigen Wege zu Erfahrungen, die den Körper als Quelle für Freude nutzen, denn es hängen eine Reihe von Aktivitäten von rhythmischen oder harmonischen Bewegungen ab, damit flow entsteht. Darunter ist das Tanzen vermutlich die älteste und bedeutsamste. Von den isoliertesten Stämmen in Guinea bis zu den raffinierten Ensembles des Bolschoi-Balletts wird die Bewegung des Körpers zu Musik als Methode genutzt, um die Erfahrungsqualität zu verbessern.
Wenn Menschen an Erfreuliches denken, kommt ihnen für gewöhnlich als erstes Sex in den Sinn. Das überrascht nicht, denn die Sexualität ist gewiss eine der lohnendsten Erfahrungen, die an Stärke vielleicht nur von den Trieben zu überleben, zu essen und zu trinken übertroffen wird. Allerdings ist auch die Erlebnisqualität des Sex abhängig davon, was sich im Bewusstsein der Beteiligten abspielt. Der gleiche sexuelle Akt kann als schmerzhaft, abstoßend, angsterregend, neutral, angenehm, lustvoll, Genuss oder Ekstase betrachtet werden.
Die Verfeinerung der Sinne, sei es das genaue Betrachten wie etwa beim Zeichnen oder der flow in der Musik oder die Freude am Geschmackssinn beim Essen bieten unbegrenzte Entwicklungsmöglichkeiten.
Flow der Gedanken
Im Gegensatz zur allgemeinen Annahme ist der Normalzustand des Geistes chaotisch. Ohne Übung und ohne ein Ziel in der Außenwelt, das Aufmerksamkeit fordert, kann sich kaum jemand länger als ein paar Minuten konzentrieren. Konzentration ist relativ leicht, wenn die Aufmerksamkeit durch Reize von außen strukturiert wird, wie bei einem Film oder beim Autofahren in dichtem Verkehr. Beim Lesen eines aufregenden Buches geschieht das Gleiche, aber bei den meisten Lesern nimmt die Konzentration nach ein paar Seiten ab, und ihre Gedanken schweifen ab.
Nur sich selbst überlassen, ohne Anforderungen an die Aufmerksamkeit, enthüllt sich die grundsätzliche Unordnung des Geistes. Häufig wenden sich die Gedanken Schmerzlichem oder Verstörendem zu. Wenn man nicht weiß, wie man seinen Gedanken Befehle erteilen kann, wird die Aufmerksamkeit von dem angezogen, was momentan am problematischsten erscheint.
Um Kontrolle über geistige Prozesse zu entwickeln, anstatt sich auf Außenquellen der Stimulierung zu verlassen – wie etwa Fernsehen – braucht man Training. Einer der einfachsten Wege besteht im gezielten Tagträumen. Es ermöglicht, imaginäre Situationen zu erproben, um die beste Strategie für eine Konfrontation herauszufinden, alternative Möglichkeiten in Betracht zu ziehen und unvorhergesehene Folgen zu entdecken.
Jedes Individuum ist in gewissem Sinne ein Historiker seiner persönlichen Existenz. Die Aufgabe, die eigene Lebensgeschichte resümierend zu betrachten, wird im Alter wichtig. Man kann sich also mit der eigenen Geschichte befassen oder überhaupt mit geschichtlichen Ereignissen. Weitere geistige Gebiete, die reichlich Gelegenheit zu flow bieten, sind die Naturwissenschaften, die die Welt beschreiben und viele Phänomene der Natur enträtselt und beherrschbar gemacht haben.
Arbeit als flow
Ohne Zweifel ist Arbeit eine zentrale Möglichkeit, flow zu erleben, insbesondere wenn es sich um anspruchsvolle und herausfordernde berufliche Tätigkeiten handelt. Je mehr eine Tätigkeit einem Spiel ähnelt – mit Vielfalt, angemessenen und flexiblen Herausforderungen, deutlichen Zielen sowie unmittelbarer Rückmeldung – umso erfreulicher wird sie.
Untersuchungen von Csikszentmihalyi haben bezüglich Arbeit paradoxe Erlebnisse geliefert. Häufig fühlen sich Menschen bei ihrer Arbeit besser als in der Freizeit. Der Beruf bietet oft mehr Gelegenheit zu flow-Erlebnissen. Freizeiterleben wird meist durch unterdurchschnittliche Herausforderung, Passivität, Langeweile und Unzufriedenheit gekennzeichnet. Hingegen fühlen sich viele Menschen bei der Arbeit kompetent sowie herausgefordert und daher glücklicher, stärker, kreativer und zufriedener. In der Freizeit haben sie im allgemeinen nicht viel zu tun. Ihre Fähigkeiten bleiben ungenutzt, daher fühlen sie sich eher traurig, schwach, gelangweilt und unzufrieden.
Dennoch wollen die meisten Menschen lieber eher weniger arbeiten und mehr Freizeit haben. Eine mögliche Erklärung für diesen Befund liegt darin, dass man bei beruflichen Tätigkeiten fremdbestimmt ist. Wenn man das Gefühl hat, gegen seinen Willen Aufmerksamkeit auf eine Aufgabe zu konzentrieren, ist es, als würde psychische Energie verschwendet. Statt uns dabei zu helfen, unsere Ziele zu erreichen, wird von uns gefordert, die Ziele anderer zu erfüllen. Die bei einer solchen Arbeit verbrachten Stunden werden als Zeit betrachtet, die einem vom Leben abgezogen wird.
Ironischerweise ist die Arbeit leichter zu genießen als die Freizeit, weil sie – wie flow-Aktivitäten – Ziele, Rückmeldungen, Regeln und Herausforderungen aufweist. Freizeit hingegen ist zunächst unstrukturiert. Vielen Menschen fällt es schwer, freie Zeit so zu gestalten, dass sie zum Genuss wird. Passive, stellvertretende Teilnahme, wie es zum Beispiel das Fernsehen bietet, füllt zwar in leichter Weise die Zeit. Flow-Erfahrungen treten allerdings nur bei persönlichem Einsatz von Fähigkeiten auf.
Freude am Alleinsein und am Zusammensein mit anderen Menschen
Wenn wir lernen, den Umgang mit anderen Menschen zu flow-Erlebnissen zu machen, verbessert sich unsere Lebensqualität insgesamt. Andererseits schätzen wir aber auch Ungestörtheit und wünschen oft, alleine zu sein. Für viele Menschen stellt sich dann jedoch heraus, dass sie deprimiert werden, sobald diese Situation eintritt. Bei manchen erzeugt Alleinsein leichte, aber störende Symptome. Wenn man aber nicht lernt, das Alleinsein auszuhalten und sogar zu genießen, kann man nur schwer Aufgaben erfüllen, die ungeteilte Konzentration verlangen.
Eine der Situationen, die uns am meisten Angst macht, ist, aus dem Fluss menschlicher Interaktionen ausgeschlossen zu werden. Untersuchungen haben gezeigt, dass sich Menschen bei Freunden und in der Familie oder einfach in Gesellschaft von anderen am glücklichsten fühlen. Aufgefordert, angenehme Tätigkeiten zu nennen, die die Laune für den ganzen Tag verbessern, wird am häufigsten genannt: „Mit glücklichen Menschen zusammen sein“, „wenn Leute Interesse an dem zeigen, was ich sage“, „mit Freunden zusammen sein“ und „als sexuell attraktiv bemerkt zu werden“. Eines der Hauptsymptome für depressive und unglückliche Menschen ist, dass sie nur selten von solchen Situationen berichten.
Gleichzeitig können gerade soziale Situationen auch erheblich belastend sein. Die schmerzlichsten Ereignisse stehen im Zusammenhang mit Beziehungen. Ungerechte Vorgesetzte und unhöfliche Kunden machen unser Berufsleben unglücklich. Zu Hause sind ein liebloser Partner, ein undankbares Kind und sich einmischende Schwiegereltern Hauptquelle von bedrückter Stimmung. Da wir so stark von der Zuneigung und Bestätigung anderer abhängen, reagieren wir extrem empfindlich darauf, wie wir von anderen behandelt werden.
Der Schmerz der Einsamkeit
Die meisten Menschen empfinden ein fast unerträgliches Gefühl von Leere, wenn sie alleine sind, insbesondere wenn sie nichts Bestimmtes zu tun haben. Die Menschen sind in Gegenwart anderer glücklicher, wacher und fröhlicher als alleine, ob sie nun am Fließband arbeiten oder fernsehen. Die schlimmsten Stimmungen bedrücken Menschen, wenn sie alleine sind und nichts getan werden muss.
Warum ist Alleinsein eine so negative Erfahrung? Offenbar ist es schwierig, von innen heraus Ordnung im Bewusstsein zu halten. Wir brauchen äußerliche Ziele, Anregungen von außen und Feedback, um die Aufmerksamkeit gerichtet zu halten. Wenn man nichts zu tun hat, kann der Verstand häufig unangenehme Gedanken nicht in Schach halten. Sorgen um das Liebesleben, die Gesundheit, Geldprobleme, die Familie und die Arbeit lauern immer.
Aus diesem Grund ist Fernsehen für viele Menschen ein Segen. Fernsehen ist zwar keineswegs eine positive Erfahrung. Allgemein berichten Fernsehzuschauer, dass sie sich passiv, schwach, eher gereizt und traurig dabei fühlen, doch Filme bringen zumindest ein gewisses Maß an Ordnung ins Bewusstsein.
Es ist relativ leicht, sich in eine Arbeit zu vertiefen, die Gesellschaft von Freunden zu genießen, sich im Theater oder Konzert unterhalten zu lassen. Doch was geschieht, wenn wir völlig uns selbst überlassen bleiben? Freie Zeit mit Tätigkeiten zu füllen, die Konzentration erfordern, die Fähigkeiten verbessern und zu einer Entwicklung des Selbst führen, ist nicht dasselbe, wie die Zeit mit Fernsehen oder entspannenden Drogen totzuschlagen.
Besonders für Kinder und Jugendliche ist es wichtig, den sinnvollen Umgang mit Zeit zu lernen und sich selbstständig beschäftigen zu können. Jugendliche, die nicht lernen, ihr Bewusstsein zu kontrollieren, werden zu Erwachsenen ohne Disziplin. Das behindert die Entwicklung sowohl der Fähigkeit des konzentrierten Arbeitens als auch des Genießen Könnens.
Wenn man wachsen und sein Leben genießen will, muss man im eigenen Geist Ordnung schaffen können. Das bedeutet, jede neue Herausforderung nicht als etwas zu betrachten, was man vermeiden oder verdrängen muss, sondern als Chance zum Lernen und zum Verbessern der eigenen Fähigkeiten. Wenn die körperliche Kraft mit dem Alter nachlässt, heißt das zum Beispiel, bereit zu sein, die eigenen Energien von der Beherrschung der äußeren Welt auf eine tiefere Erforschung der inneren Welt zu lenken.
Jemand, der alleine leben will oder muss, benötigt eigene innere Muster und Strukturen, um flow ohne Unterstützung von außen erleben zu können, d.h. beispielsweise ohne Beruf, Fernseher, Theater, Restaurants oder Bibliotheken. Wenn Alleinsein als eine Chance betrachtet wird, ein selbst gewähltes Ziel zu erreichen, welches man in Gesellschaft anderer nicht erreichen kann, wird man diesen Zustand sogar genießen. Wenn man aber Alleinsein als einen Zustand betrachtet, den es unter allen Umständen zu vermeiden gilt, so setzt Panik ein und man zieht sich auf Ablenkungsmanöver zurück, die nicht zu Lernen und mehr Komplexität führen.
Flow in der Familie und in Freundschaften
Für die meisten Menschen erfolgt die Sozialisierung in der Familie. Man lernt dabei, in einer Gemeinschaft zu leben und beispielsweise Kompromisse zu schließen. Schon so etwas Einfaches wie eine Verabredung zum Essen enthält Kompromisse hinsichtlich der Zeit, des Ortes, des Gerichts usw. Der Autor vertritt die Ansicht, dass eine gut funktionierende Familie sowohl Differenzierung als auch Integrierung ermöglichen muss. Differenzierung bedeutet, dass jeder Einzelne ermutigt wird, seine einzigartigen Eigenschaften zu entwickeln und sich individuelle Ziele zu setzen. Das bedeutet etwa, dass ein Kind die selbst gewählte Ausbildung absolvieren darf und nicht gezwungen ist, die Vorstellungen der Eltern umzusetzen. Integration hingegen garantiert, dass das, was mit einer Person geschieht, auch alle anderen beeinflusst. Wenn ein Kind auf seine Schulleistungen stolz ist, schenkt ihm der Rest der Familie Aufmerksamkeit und ist ebenfalls stolz. Wenn die Mutter müde und deprimiert ist, versucht die Familie, ihr zu helfen und sie aufzuheitern. Integration ergibt sich aber auch aus den gemeinsamen Aktionen einer Familie, wie gemeinsame Mahlzeiten, Ausflüge oder Familienfeiern.
In gewisser Weise gibt es Ähnlichkeiten im Kontakt mit Freunden, wobei allerdings der große Unterschied zur Familie darin besteht, dass man Freunde frei wählen kann. Dieses freie Wählen ist zumindest dann der Fall, wenn etwa Jugendliche genügend Sicherheit von zu Hause mitbringen, um in der Gruppe der Gleichaltrigen einen guten Stand und gute Akzeptanz zu haben. Die bewusste Pflege von Freundschaften ist aber in jedem Lebensabschnitt von großer Bedeutung und ein erheblicher Pfeiler für die persönliche Lebenszufriedenheit.
Das autotelische Selbst: Das Leben selbst gestalten
Csikszentmihalyi betont immer wieder, dass die Qualität unseres Lebens und Erlebens in hohem Maße von der Qualität unserer Bewusstseinsinhalte abhängig ist. Jemand, der gesund, reich, stark und mächtig ist, hat keine größeren Chancen, sein Bewusstsein zu steuern, als jemand, der krank, arm, schwach und unterdrückt ist. Der Unterschied zwischen jemandem, der das Leben genießt und jemandem, den es überfordert, beruht sowohl auf äußeren Faktoren (objektive Ereignisse) als auch auf der Art und Weise, wie man diese deutet – d.h., ob bestimmte Ereignisse als Bedrohung oder als Handlungsmöglichkeit betrachtet werden.
Der Autor geht davon aus, dass ein „autotelisches Selbst“ potenzielle Bedrohungen leicht in positive Herausforderungen verwandeln und daher die innere Harmonie behalten kann. Der Begriff bezeichnet wörtlich „ein Selbst, das sich selbst die Ziele setzt“. Eine solche Person zeichnet sich dadurch aus, dass sie sich nie langweilt, selten Angst hat, die an der Umwelt aktiv Anteil nimmt und sich vorwiegend im Zustand des flow befindet.
Das autotelische Selbst – ein Mensch, der sich selbst Ziele setzen kann – verwandelt potenziell verstörende Erfahrungen in flow. Die Regeln für die Entwicklung eines solchen Selbst lauten:
(1) Ziele setzen und modifizieren: Um flow zu erleben, muss man ein deutliches Ziel anstreben. Mit einem autotelischen Selbst lernt man, Entscheidungen ohne große Umstände und mit möglichst wenig Angst zu treffen – ob für eine lebenslange Verpflichtung wie eine Ehe oder einen Beruf. Das können aber auch alltägliche Dinge sein, wie die Entscheidung, was man am Wochenende unternimmt oder wie man die Wartezeit beim Zahnarzt überbrückt.
Man setzt sich als Ziel beispielsweise, ein Instrument oder eine Sprache zu erlernen und macht dabei Schritt für Schritt Fortschritte bei der Entwicklung der entsprechenden Fertigkeiten. Man lernt dabei auch, Feedback zu beachten, also Erfolge und Misserfolge auf dem Weg zu erkennen und die richtigen Lehren daraus zu ziehen.
Ziele, die „autotelisch“ – also selbstständig – gewählt wurden, sind motivierender als solche, die von außen auferlegt wurden wie beispielsweise der Lehrstoff in der Schule. Selbstgewählte Ziele kann man auch wieder abändern, wann immer die Gründe für sie keinen Sinn mehr ergeben.
(2) Sich in die Handlung vertiefen: Eine autotelische Persönlichkeit vertieft sich in die jeweils gewählte Tätigkeit. Ob er als Pilot ein Flugzeug steuert oder nach dem Essen abwäscht, er richtet seine Aufmerksamkeit auf die vor ihm liegende Aufgabe. Persönliche Fähigkeiten und Fertigkeiten müssen dabei mit den Rahmenbedingungen zusammenpassen. Manche Menschen haben unrealistische Erwartungen wie: die Welt retten oder mit zwanzig Millionär sein.
(3) Die Aufmerksamkeit auf das Geschehen richten und die Konzentration aufrechterhalten: Auf den ersten Blick erscheint dieser Punkt ähnlich wie Punkt 2. Es besteht allerdings ein Unterschied zwischen der ersten oder einmaligen Konzentration auf eine Handlung einerseits und einem konsequenten „am Ball bleiben“ andererseits. Konzentration kann nur aufrechterhalten werden, wenn ständig psychische Energie investiert wird. Sportler beispielsweise sind sich darüber im Klaren, dass bereits Sekunden des Nachlassens der Aufmerksamkeit bei einem Rennen die Niederlage bedeuten können. Der Anwalt, dessen Aufmerksamkeit nachlässt, verliert vielleicht den Prozess.
Eine autotelische Persönlichkeit beherrscht es, konzentriert zu bleiben. Zu starke Selbstbezogenheit oder Befangenheit sind etwa Ablenkungen, die die Fokussierung auf das angestrebte Ziel stören. Jemand, der sich auf eine Tätigkeit konzentriert, statt sich um sein Selbst zu sorgen, erfährt ein Paradox: Er fühlt sich nicht mehr als eigenständiges Individuum, jedoch sein Selbst wird stärker. Das autotelische Individuum wächst über die Grenzen der Individualität hinaus, indem es psychische Energie in einem System einsetzt, an dem es Anteil hat. Oder einfacher ausgedrückt: Wird die persönliche Aufmerksamkeit von einer Sache ganz in Beschlag genommen, so wird man selbstvergessen.
(4) Lernen, sich an den unmittelbaren Erfahrungen zu freuen: Steuerung des Bewusstseins bedeutet, dass praktisch alles, was geschieht, in eine Quelle von Freude umgewandelt werden kann. Ein Windhauch an einem heißen Tag, eine Wolke, die sich in der Glasfassade eines Hochhauses spiegelt, ein Geschäftsabschluss, ein Kind mit einem jungen Hund beim Spiel, ein Glas Wasser können sämtlich als zutiefst befriedigende Erfahrungen empfunden werden, die das Leben erfüllter machen. Laut Csikszentmihalyi reicht es nicht aus, sich auf die wechselnden Situationen und Eindrücke einzulassen, um flow zu erleben. Vielmehr ist darüber hinaus ein Gesamtzusammenhang von Zielen wichtig, um das Alltagsleben sinnvoll zu gestalten. Mit dieser Thematik beschäftigt er sich unter dem Thema „Sinn“.
Die Entstehung von Sinn
Selbst wenn grundsätzlich das Leben eines Menschen in den verschiedenen Lebensbereichen positiv und erfolgreich verläuft, so bleibt doch die Notwendigkeit, die einzelnen Bereiche sinnvoll miteinander zu verbinden, um nicht erlebnismäßig ins Chaos abzurutschen. Selbst die erfolgreichste Karriere oder die schönste Familienbeziehung findet ein Ende. Früher oder später muss das Engagement in der Arbeit gelockert werden; Partner sterben, Kinder werden erwachsen und ziehen fort. Damit man einer optimalen Erfahrung so nahe wie möglich kommt, ist laut Csikszentmihalyi ein letzter Schritt bei der Kontrolle des Bewusstseins notwendig. Dazu bedarf es eines übergeordneten Zieles im Leben, das geeignet ist, dem gesamten Leben einen Sinn zu verleihen.
Was ist Sinn?
Sinn oder Bedeutung schaffen heißt, die Bewusstseinsinhalte zu ordnen, indem die Handlungen zu einer einheitlichen flow-Erfahrung gefügt werden. Es spielt hierbei im Prinzip keine Rolle, wie das Hauptziel aussieht, solange es herausfordernd genug ist, um ein Leben lang die psychische Energie zu lenken. Die Herausforderung besteht vielleicht darin, die größte Bierdeckelsammlung der Gegend zu besitzen, ein Heilmittel für Krebs zu finden oder Kinder zu haben, die gute Entwicklungsmöglichkeiten haben. Der Autor weist ausdrücklich darauf hin, dass es sich hier nicht um eine ethische Frage handelt. Das übergeordnete Ziel mag Machthunger mit einhergehenden Verbrechen oder etwa Nächstenliebe mit Nutzen für andere Menschen sein. Vom rein psychologischen Standpunkt aus können die verschiedensten Ziele zu optimaler Erfahrung führen. Csikszentmihalyi erörtert keine ethischen Fragen.
Die Vereinheitlichung des Sinns in Lebensthemen
Für den modernen Menschen besteht eine Herausforderung darin, für das eigene Leben ein tragfähiges, übergeordnetes Ziel zu finden, welches als Lebenssinn taugt. Philosophen wie Heidegger oder Sartre haben diese Aufgabe des modernen Menschen erkannt und sie Projekt genannt. Psychologen benutzen Begriffe wie angemessenes Streben oder Lebensthemen. Das Lebensthema gibt an, was die Existenz erfreulich macht, wie beispielsweise ein erfüllender Beruf, Familie, soziales Engagement usw. Mit einem Lebensthema erlangt vieles, was geschieht, eine Bedeutung und einen Sinn.
Existenzialphilosophen unterscheiden zwischen authentischen und nichtauthentischen Projekten. Erstere beschreiben das Thema eines Menschen, der erkennt, dass er die freie Auswahl hat und eine persönliche Entscheidung trifft. Nichtauthentische Projekte sind solche, die jemand auswählt, weil diese seiner Meinung nach diejenigen sind, welche alle anderen verfolgen und es daher keine Alternative gibt. Ein ähnlicher Unterschied besteht zwischen entdeckten und übernommenen Lebensthemen. Bei einem entdeckten Lebensthema entscheidet sich jemand für handlungsleitende Motive aufgrund persönlicher Erfahrung. Bei einem übernommenen Lebensthema hingegen wählt man eine Rolle und es werden Handlungsmotive ausschlaggebend, die in äußeren Faktoren begründet sind, zum Beispiel in der Familientradition.
Beispiel für die Entstehung eines Lebensthemas
Ein Mann, den wir bei einer unserer Forschungsarbeiten interviewten und den wir als E. bezeichnen wollen, liefert ein Beispiel, wie man ein Lebensthema entdecken kann. E. wuchs als Sohn einer sehr armen Familie in den USA auf. Seine Eltern kannten nur wenige Worte in der englischen Sprache und konnten kaum lesen und schreiben.
Als E. sieben wurde, gaben die Eltern einen Großteil ihrer Ersparnisse aus, um dem Jungen ein Fahrrad zu schenken. Ein paar Tage später, als er in der Nachbarschaft herumfuhr, stieß er mit einem Auto zusammen, dessen Fahrer ein Stoppschild übersehen hatte. E. erlitt schwere Verletzungen, und sein Rad war kaputt. Der Fahrer des Autos war ein wohlhabender Arzt. Er fuhr E. ins Krankenhaus, bat den Unfall nicht zu melden und bot an, die Unkosten zu begleichen sowie ein neues Fahrrad zu kaufen. E. und sein Eltern ließen sich überreden. Leider tauchte der Arzt nie wieder auf und E.s Vater musste sich Geld leihen, um die teure Krankenhausrechnung zu bezahlen. Das Fahrrad wurde nie ersetzt.
Dieser Vorfall hätte zum Trauma werden und E. zu einem Zyniker machen können. Stattdessen führte diese Erfahrung bei E. zur Entwicklung seines Lebensthemas. Er beschloss, Anwalt zu werden, nicht nur, um sein eigenes Leben zu verbessern, sondern auch, um sicherzustellen, dass Ungerechtigkeiten, wie er sie erlitten hatte, anderen nicht so leicht zustoßen konnten.
Die meisten Menschen, die ein komplexes Lebensthema entdeckt haben, erinnern sich entweder an eine ältere Person oder eine historische Gestalt, die sie sehr bewunderten und die für sie ein Vorbild war, oder sie erinnern sich an ein bestimmtes Buch, das ihnen neue Handlungsmöglichkeiten eröffnete.
Ein Kind, das in einem strengen Waisenhaus aufwuchs, dachte nach dem Lesen einer Geschichte, in der ein ähnlich armes und einsames Kind sein Leben durch harte Arbeit und Glück bewältigt: „Wenn der das kann, warum nicht ich?“ Er wurde als Erwachsener ein erfolgreicher Bankier und bekannt für seine Menschenfreundlichkeit.
Seit Sigmund Freud interessieren sich Psychologen dafür, wie frühe Kindheitstraumata zu seelischen Funktionsstörungen beim Erwachsenen führen können. Dieser Zusammenhang ist plausibel und wird oft hergestellt. Schwieriger und erstaunlicher ist das gegenteilige Ergebnis, nämlich Fälle, bei denen das Leiden einem Menschen zum Antrieb wird, um ein großer Künstler, kluger Staatsmann oder Wissenschaftler zu werden.
Es gibt viele Impulse, die für das persönliche Leben und die Ausrichtung des eigenen Handelns als ein Lebensthema maßgeblich werden können: die Eltern, Geschwister, Vorbilder; ordnende gesellschaftliche, kulturelle Systeme wie bildende Kunst, Religion, Literatur, Musik; Schönheit oder besondere körperliche Fähigkeiten wie sportliche oder tänzerische Begabung; besonders prägende Erfahrungen, seien diese einzigartige Ereignisse oder länger anhaltende Lebensumstände. Die Strategie besteht darin, eine Ordnung für das eigene Bewusstsein, für die eigenen Gedanken aus den uns zur Verfügung stehenden körperlichen, geistigen und kulturellen Gegebenheiten zu entwickeln. Das Lebensthema oder die Lebensthemen sind uns dann Hilfe, dem Leben Sinn zu verleihen.